Sechs Wochen vor der Bundestagswahl hat Bundeskanzler Olaf Scholz die SPD auf eine Aufholjagd in der heißen Phase des Wahlkampfs eingeschworen. „Es geht um verdammt viel“, sagte er in seiner 51-minütigen Rede auf einem Sonderparteitag in Berlin. „Wir streiten dafür, die Erfolgsmarke ‚Made in Germany‘ zu bewahren und zu erneuern – für die ganz normalen Leute in unserem Land. Also, kämpfen wir.“ Die 600 Delegierten feierten ihn stehend mit sechseinhalb Minuten Applaus.
Im Anschluss wurde Scholz offiziell zum Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl am 23. Februar ernannt. Per Kartenzeichen stimmt eine übergroße Mehrheit der Delegierten für den 66-Jährigen. Es gab nur fünf Gegenstimmen von den rund 600 Delegierten. Scholz war zuvor bereits im November vom Parteivorstand nominiert worden.
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Die Sozialdemokraten wollen wieder stärkste Partei werden, haben derzeit in den Umfragen aber einen Rückstand von 13 bis 20 Prozentpunkten auf die führende Union und liegen auch hinter der AfD auf Platz drei.
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Scholz zeigte sich in seiner 50-minütigen Rede trotzdem zuversichtlich, dass die Trendwende noch gelingen kann. „Winterwahlkämpfe können ein gutes Ende haben“, sagte er. In Hamburg habe er sich zweimal im Februar zur Wahl gestellt und gewonnen. „Ich finde, das macht Mut in dieser Zeit.“
Richtungsentscheidung zwischen SPD und Union
Scholz wertete die Wahl als Richtungsentscheidung zwischen SPD und Union. „Wir stehen in Deutschland tatsächlich an einem Scheideweg“, sagte er. „Die nächsten zehn Jahre werden entscheidende Jahre.“ Wenn Deutschland am 23. Februar falsch abbiege, „dann werden wir in einem anderen Land aufwachen“.
Mit Blick auf die Konkurrenz von der Union sagte der Kanzler: „Jetzt ist nicht die Zeit für Sprücheklopfer. Jetzt ist nicht die Zeit für die uralten Rezepte. Jetzt ist nicht die Zeit für Politik auf dem Rücken der ganz normalen Leute. Oder knapp: Jetzt ist nicht die Zeit für CDU und CSU in Deutschland.“
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Scholz warf der Union und ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz vor allem vor, Einschnitte im sozialen Bereich zu provozieren, unter anderem weil sie das derzeitige Rentenniveau nicht stabilisieren wolle. Scholz verwies auch darauf, dass die SPD fast alle Steuerzahler entlasten wolle, während CDU und CSU auch Spitzenverdiener im Blick habe.
„Vielleicht hätte ich früher auf den Tisch hauen müssen“
Die Rückschau auf seine dreijährige Regierungszeit als Ampel-Kanzler kam in der Rede nur kurz vor. Er räumte ein, dass er die Regierung mit Grünen und FDP vielleicht früher hätte beenden müssen. „Vielleicht hätte ich früher auf den Tisch hauen müssen, nicht nur hinter den Kulissen, sondern öffentlich.“
Auf harsche Kritik an dem früheren Koalitionspartner FDP oder an den Grünen verzichtete der Kanzler dieses Mal weitgehend und arbeitete sich vor allem an der Union ab.
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Eindringlich warnte Scholz vor Rechtspopulisten und Angriffen auf die Demokratie. Den Rechtsruck in Österreich nannte er „bedrückend“. „Das können wir nicht einfach so zur Kenntnis nehmen“, sagte der Kanzler. Auch in Amerika würden Kräfte daran arbeiten, „unsere demokratischen Institutionen zu zerstören“.
Botschaft an Trump – ohne ihn zu nennen
Den künftigen US-Präsidenten Donald Trump erwähnte Scholz in seiner Rede zwar nicht, wies dessen Gebietsansprüche in Panama, Kanada und Grönland aber erneut indirekt zurück. „Das Prinzip der Unverletzlichkeit von Grenzen gilt für jedes Land – egal ob es im Osten von uns liegt oder im Westen“, sagte er. „Kein Land ist der Hinterhof eines anderen.“
Der Ukraine sicherte Scholz weitere Unterstützung zu und versicherte, dass er eine Verwicklung der Nato in den Krieg verhindern werde. Merz warf er erneut vor, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zwischenzeitlich ein Ultimatum gestellt zu haben, das er später wieder relativiert habe. Das zeuge „weder von Standhaftigkeit noch von Verantwortung.“
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Er selbst werde standfest und besonnen bleiben. „Darauf können sich alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland verlassen.“
Scholz erklärte nach dem Wahlparteitag, dass er sich gestärkt fühle. „Da ist jetzt ein Push“, sagte er in einem Interview mit dem Sender Phoenix. „Das sieht man am Ergebnis, das mich beauftragt hat, hier in das Rennen zu gehen, dafür zu sorgen, dass die SPD wie beim letzten Mal (…) am Ende doch das Rennen macht. Das wollen wir jetzt auch wieder erreichen.“
Keine geheime Abstimmung über den Kanzlerkandidaten
Scholz war Ende November vom Parteivorstand erst nach zäher und kontroverser Debatte als Kanzlerkandidat nominiert worden. Zuvor hatte die Partei zwei Wochen lang öffentlich darüber diskutiert, ob nicht der deutlich beliebtere Verteidigungsminister Boris Pistorius als Ersatzkandidat für den nach dem Scheitern seiner Ampel-Regierung angeschlagenen Scholz eingewechselt werden soll.
Auf dem Parteitag soll die Entscheidung für Scholz nun „per Akklamation“ bestätigt werden. Eine geheime Abstimmung wie bei vielen früheren Entscheidungen für Kanzlerkandidaten soll es nicht geben. Die Parteiführung begründet das damit, dass Scholz als Kanzler und nicht als Herausforderer antritt und in diesen Fällen eine geheime Abstimmung nicht üblich sei.
Vor der vorangegangenen Bundestagswahl 2021 hatten 96,2 Prozent der Delegierten bei einer Online-Abstimmung während der Corona-Pandemie für Scholz gestimmt.
Wahlprogramm fordert 15 Euro Mindestlohn
Nach der Bestätigung von Scholz als Kanzlerkandidat hat der Parteitag auch das Wahlprogramm der Partei beschlossen. Der gut 60-seitige Text wurde fast einhellig befürwortet. Darin legen die Sozialdemokraten den Schwerpunkt auf mehr Investitionen und auf soziale Gerechtigkeit. Mit einem „Deutschlandfonds“ mit 100 Milliarden Euro Grundkapital will die SPD staatliches und privates Kapital für Zukunftsinvestitionen mobilisieren. Unternehmen sollen für Investitionen in Deutschland einen „Made-in-Germany-Bonus“ erhalten können.
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Das Rentenniveau will die SPD langfristig bei 48 Prozent stabilisieren. Menschen mit 45 Versicherungsjahren sollen weiterhin zwei Jahre vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter abschlagsfrei in Rente gehen können – ab dem Geburtsjahrgang 1964 mit 65 Jahren. Die Regelaltersgrenze soll nicht über 67 Jahre hinaus erhöht werden.
Den Mindestlohn will die SPD auf 15 Euro pro Stunde erhöhen. Die Mietpreisbremse will die SPD unbefristet verlängern. Karenztage bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall werden abgelehnt. Stromkosten sollen sinken, vor allem durch eine Halbierung der Netzentgelte. Der Union wird in dem Text vorgeworfen, sie wolle „erreichte Fortschritte rückgängig machen“, etwa im Staatsbürgerschaftsrecht oder in anderen gesellschaftspolitischen Fragen.