Hanna Hansen: Was zieht Frauen wie sie zum konservativen Islam?

Auf der Bühne, hinter ihrem Mischpult, springt Hanna Hansen auf und ab, die blonden Haare fliegen ihr um den Kopf. Begeistert reckt sie einen Arm in die Höhe, schnappt sich ein Mikro und ruft in die Kölner Lanxess-Arena hinein „Hallo Köln! Geht’s noch lauter?“ Rund 15.000 oft blutig geschminkte oder maskierte Menschen auf Deutschlands größter


Auf der Bühne, hinter ihrem Mischpult, springt Hanna Hansen auf und ab, die blonden Haare fliegen ihr um den Kopf. Begeistert reckt sie einen Arm in die Höhe, schnappt sich ein Mikro und ruft in die Kölner Lanxess-Arena hinein „Hallo Köln! Geht’s noch lauter?“ Rund 15.000 oft blutig geschminkte oder maskierte Menschen auf Deutschlands größter Halloween-Party kreischen, jubeln, tanzen, während oben auf der Bühne DJane Hanna Hansen im schulterfreien Top die wummernden Bässe aufdreht – damals, 2013.

Elf Jahre später, im November dieses Jahres: Hanna Hansen sitzt lächelnd an einem kleinen Rednerpult und spricht sanft, aber erneut begeistert in ein Mikro: „Es ist unglaublich, wie viele und insbesondere Frauen zum Islam kommen!“ Auch sie selbst gehört zu diesen Frauen. Sie trägt ein langes beigefarbenes Kleid, das den ganzen Körper umschleiert. Um ihr Haupt ist ein Kopftuch eng gebunden, ein Hijab, der auch den Hals bedeckt. Sie hält einen ihrer vielen Vorträge, mit denen sie Neumuslime zu bekehren versucht. Die DJane ist zur Missionarin Allahs mutiert.

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Islam ist ‚in‘ bei jungen Frauen!

Einerseits ist die Lebensgeschichte der 40-jährigen Kölnerin außergewöhnlich. Keine andere Konvertitin hat zuvor als Topmodel oder gefeierte DJane gearbeitet oder war gar Kickbox-Weltmeisterin. Andererseits ist sie typisch für eine laut Beobachtern wachsende Zahl von Frauen in Deutschland, die den Islam für sich entdecken – und zwar überwiegend in einer konservativen Variante. Dieser Trend spiegelt sich seit Monaten in einer Welle von TikTok-Videos, in denen deutsche Mädchen und Frauen ihren Übertritt zum Islam verkünden. Ihre Zahl ist schwer zu schätzen, schon weil sie viele unterschiedliche Hashtags nutzen.

Zudem besuchen diese TikTok-Konvertitinnen eher selten eine Moschee, sondern pflegen ihren Islam meist digital. Aber viele Kenner, etwa der Freiburger Islam-Gelehrte Abdel-Hakim Ourghi, bestätigen die Existenz dieses Trends. Das tut auch Islamismus-Expertin Claudia Dantschke, die die Beratungsstelle „Grüner Vogel“ für die Deradikalisierung von Islamisten leitet. Laut Dantschke ist das „Konvertieren zum Islam ein Frauen-Thema. Islam ist ‚in‘ bei jungen Frauen. Auch 70 bis 80 Prozent der Konvertiten, mit denen wir uns in der Beratungsstelle beschäftigen, sind junge Frauen“, sagt sie gegenüber WELT. Und diese Frauen sind oft unverheiratet. Die frühere Vermutung, diese Konversionen seien allesamt einem muslimischen Partner geschuldet, greift also nicht.

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Was treibt Frauen fort von westlicher Liberalität?

Aber was reizt westliche Frauen dann am Islam – und zwar gerade an dessen stramm konservativen Varianten? Immerhin sehen diese für die Frau zuvorderst die Rolle der Mutter vor, gestatten dem Mann vier Ehefrauen (der Frau aber nur einen Gatten), fordern einen strikten Dress-Code ein und erlegen Frauen noch manch andere Ungleichbehandlung mit Männern auf. Was treibt Frauen in eine scheinbar so beschränkte Freiheit?

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Das wollte WELT von Hanna Hansen wissen, die schon vor einigen Jahren zum Islam übertrat und sich inzwischen als gefragte muslimische Influencerin in sehr konservativen Kreisen bewegt. Regelmäßig hält sie missionarische Vorträge, oft digital, manchmal bei Veranstaltungen vor Ort. Allein bei Instagram folgen ihr rund 180.000 Menschen. Zu einem Treffen war sie nicht bereit, dafür antwortete sie schriftlich. Und bedenkenswert.

„Bedeutet Nackt-Sein Freiheit?“

Denn sie fühlt sich keineswegs unfrei, wie sie schreibt. Im Gegenteil. Sie tritt auf wie eine konservative Frauenrechtlerin, die ihre Geschlechtsgenossinnen sozusagen aus der kaum versteckten Knechtschaft der ultraliberalen Gesellschaft befreien will. So antwortete sie auf die schriftliche Anfrage mit Rückfragen: „Wer sagt, dass Nacktsein Freiheit bedeutet? Oder verkauft es sich einfach besser? Wer sagt, dass eine knapp bekleidete Frau nicht wie eine Gefangene ist? Sie wird von allen begutachtet. Ist das schön? Ist diese Art der Selbstbestätigung durch andere Menschen erfüllend? Ist es nicht erfüllender, Allah gefallen zu wollen – und nicht abhängig von anderen Menschen zu sein?“

Damit artikuliert Hansen ein Unbehagen vieler westlicher Konvertitinnen unterschiedlicher Couleur. In sozialen Netzwerken weisen diese gern darauf hin, sie fühlten sich nicht durchs Kopftuch sexualisiert, sondern durch den permanenten Druck zum Körper-Zeigen. Sie beklagen auch eine verbreitete Erziehung von Mädchen zu oberflächlichen Wesen, die schon im Kindesalter halbnackte Barbie-Puppen vorgesetzt bekämen oder „Topmodel“-Hefte, die den Kleinsten erotisches Outfit als Normalfall präsentierten. So manche Neu-Muslima erblickt da eine sexistische Kinder-Konsumwelt, vor dem sie ihre eigenen Töchter aus elterlicher Fürsorge schützen möchte. Übrigens ist auch Hanna Hansen zweifache Mutter.

Wenn das traditionelle Frauenbild entlastet

Expertin Dantschke sieht noch einen anderen Grund, weshalb gerade Frauen in die Fußstapfen des Propheten Muhammad treten: „Viele Konvertitinnen erleben das konservative Frauenbild als befreiend. Sie können dadurch aussteigen aus dem Druck, den sie spüren: Sie sollen Karriere machen, Kinder kriegen, schön, sexy und sportlich sein, im Beruf selbstbewusst-erfolgreich und natürlich sympathisch. Auf sie wirkt das traditionelle Frauenbild entlastend“.

Allerdings sei es „ein Missverständnis zu glauben, dass Frauen in konservativen und salafistischen Bewegungen hierzulande unterdrückte Mäuschen am Herd wären. Das stimmt nicht. Sie können und sollen sich in der Bewegung engagieren und dort mitreden“.

Kampf der anything-goes-Wildnis

In Hansens religiöser Wende schimmert nicht nur Zuneigung zu diesem alternativen Frauenbild, sondern Abneigung gegen die liberale Gesellschaft durch. „Man sieht sehr deutlich, wo wir mit ‚Jeder kann und darf alles‘ gerade hingeraten“, schreibt sie. Auch in ihren Vorträgen warnt sie vor dem, „was passiert in der Gesellschaft, wenn wir die Zügel laufen lassen“. Womit sie typische Kritikpunkte konservativer Muslime aufgreift, die die westliche Welt weniger als offen-tolerante Gesellschaft, sondern eher als eine Art anything-goes-Wildnis wahrnehmen, in der jede noch so offenkundige Perversion gestattet sei und die niedrigsten Kräfte ungestört am Individuum zerren dürften.

Die Antwort auf dieses vermeintliche hedonistische Chaos ist für Hansen & Co. die göttliche Ordnung. „Der Mensch braucht Struktur. Der Mensch braucht eine Anleitung zur praktischen Lebensweise. Koran und Sunnah geben das! Es ist ein Lebensweg und Einzahlkonto für das wahre Leben im Jenseits“, glaubt Hansen. Die beglückenden Effekte eines solchen Jenseits-Glaubens sind religionspsychologisch gut erforscht und dürften einen gewichtigen Grund zur Konversion darstellen, der aber gilt natürlich für Frauen und Männer gleichermaßen.

Hedonistin, Materialistin, Karrieristin

Spannung gewinnt diese Predigt vor dem Hintergrund von Hansens Vita. Sie selbst lebte ja scheinbar exzessiv den Hedonismus, Karrierismus und Materialismus aus, den sie nun schilt. Erst als Model in Paris, auf den Laufstegen und in den Outfits der Top-Designer, dann als DJane, die bei der Loveparade, in New York oder bei der Formel eins in Singapur vor Zehntausenden „auflegte“; schließlich als Kickboxerin, die sich mehrere deutsche Meisterschaften und den Titel der Weltmeisterin erkämpfte. Sie kann für sich Expertise in Sachen intensiv-westlicher Lebensführung beanspruchen. Das tut sie auch eifrig, wenn sie betont, „dieses scheinbar spannende Leben“ bringe „keine Erfüllung“. Und wenn sie beteuernd hinzufügt: „Ich war da und weiß, wovon ich spreche! Diese Art zu leben, ist eine Farce.“ Im Islam hat sie den Gegenentwurf zum anything-goes-Hedonismus gefunden: die von ihr geforderte „Struktur“ und „alltägliche Anleitung“.

Hätte sie sich für eine liberal-reformerische Islam-Variante entschieden, würde ihr genau das fehlen. Dort existiert ja die Freiheit des Auslegens, Neuaneignens und Reformierens. Das möchte Hansen im Islam verhindern, weshalb sie warnt, „diese Religion war nie deformiert, warum soll sie reformiert werden?“ Den Islam könne man nicht so zurechtbiegen, „dass er in das System in Deutschland passt“. Religiöse Autorität besitzt in dieser Weltsicht offenbar nur, was nicht verändert werden kann.

Die ultrakonservative Szene ist in Bewegung

Folglich bewegt Hansen sich in Kreisen, die von einem Reformislam nichts wissen wollen und als ultrakonservativ bezeichnet werden dürfen. An ihrer Pilgerfahrt nach Mekka und Medina nahm laut Bericht der „Neuen Westfälischen“ zum Beispiel der vom Verfassungsschutz beobachtete Salafisten-Prediger Abu Alia teil. Sie tritt aber auch mit Predigern auf, die der Verfassungsschutz früher als Salafisten bezeichnete, die heute aber moderater wirken. Zum Beispiel mit dem Krefelder Marcel Krass oder manchen Vertretern des Islamischen Zentralrats der Schweiz. Krass hat sich jüngst vom Salafismus losgesagt. Und vom Schweizer Zentralrat sind seit einiger Zeit ebenfalls moderatere Töne zu hören. In der Szene, das bestätigen auch Verfassungsschützer, ist Bewegung.

Wer weiß also, wohin Hanna Hansens Reise noch führen wird? Auch andere prominente Konvertiten wie der Sänger Cat Stevens oder die einstige MTV-Moderatorin Kristiane Backer durchliefen eine eher konservative oder im Falle von Cat Stevens sogar radikale Phase. Heute leben beide einen sehr moderaten Islam. Die Wege des Herrn sind auch im Islam unergründlich.